In Staaten ohne ausreichende medizinische Versorgung müssen sich Betroffene häufig selbst zu helfen wissen

Mit bescheidenen Mitteln funktionsfähige Alltagslösungen schaffen – vor dieser Herausforderung stehen viele Menschen mit Handicap in afrikanischen Ländern. Rollstühle sind dort gerade für Menschen mit Behinderung meist unerschwinglich. Viele von ihnen sind nie zur Schule gegangen und oft finden sie keine Arbeit. Die Zahl der auf den Rollstuhl Angewiesenen ist in einigen Ländern wie Nigeria und der Demokratischen Republik Kongo auch deshalb sehr hoch, weil die Kinderlähmung dort bis vor einigen Jahren noch nicht eingedämmt war.

Aufgrund der Bürgerkriege und des Staatszerfalls in den 1980er und 1990er Jahren brach in der Demokratischen Republik Kongo das Gesundheitssystem zusammen. Eine ganze Generation kongolesischer Kinder erhielt keine Impfung gegen Kinderlähmung und die Anzahl an Menschen mit Behinderung als Folge von Polio ist daher groß. Wer ein Handicap davongetragen hat, hat es nicht leicht, in einer darauf gar nicht eingestellten Gesellschaft zurechtzukommen. Hilfe vom Staat gibt es nicht, die Betroffenen müssen sich selbst um ihre Hilfsmittel kümmern. Das Material muss dabei so günstig wie möglich sein und der Nachbau simpel. Die Amateur-Rollstuhl-Ingenieure nutzen dafür, was sie an Passendem in der Umgebung finden. Zum Einsatz kommen dafür auch Fahrradteile und  Plastikgartenstühle.

Mboyo ist selbst Betroffener und Gründer der kongolesischen Stiftung MBOYO, die kostenlos Rollstühle und Gehhilfen vergibt. Ein Rollstuhl kostet dort normalerweise rund 300 Euro, für die meisten ist das unerschwinglich. Aus alten Fahrrädern fertigen er und seine Angestellten ihre dreirädrigen Rollstühle. Der Kettenantrieb wird dabei umgebaut, sodass sich die Pedale mit den Händen bewegen lassen.

Den gleichen Ansatz verfolgt auch der Nigerianer Ayuba Gufwan, der seit seiner Kindheit ebenfalls durch Polio gelähmt ist. Wie Pakistan und Afghanistan erfährt auch Nigeria immer wieder Rückschläge im Kampf gegen die Seuche infolge jahrelanger Gewalt und Desinformation. Klerikale warnten, die Impfkampagnen folgten dem Plan des Westens, junge muslimische Mädchen zu sterilisieren, Impfärzte wurden umgebracht und auch die Angriffe der Boko Haram behinderten den Fortschritt der Immunisierung im verbleibenden Nordosten des Landes.

Gufwan startete zusammen mit Ronald Rice die Initiative „Wheelchairs for Nigeria“ und gründete ein Werkstattzentrum, in dem aus Fahrrädern günstige Rollstühle hergestellt werden. Dabei wird ein dreirädriges Modell hergestellt, das auch auf unwegsamem Terrain gut funktioniert. Es wird komplett aus Fahrradteilen hergestellt und ist so simpel aufgebaut, dass es in jeder noch so schlichten Fahrradwerkstatt repariert werden kann. In den letzten 15 Jahren sind über 16.000 solcher Tricycles in Nigeria kostenlos ausgegeben worden. Jeder Euro, der gespendet wird, wird in ein Tricycle investiert, die Organisatoren arbeiten komplett unentgeltlich. Um eines zu bekommen, muss man jedoch die Schule besuchen oder ein Handwerk erlernen wollen. Denn ein wichtiges Ziel der Initiative ist es, Menschen mit Behinderung finanziell unabhängig von anderen zu machen und sei es nur, indem sie etwas vor ihrer Haustür verkaufen.

In Ruanda wiederum nutzte das Team um die katalanischen Designer Josep Mora und Clara Romaní Plastikgartenstühle, die wahlweise vor Ort günstig erworben oder recycelt werden können. Um die Kosten gering zu halten, verwendeten sie gewöhnliche Rollstuhlräder und kombinierten diese mit lokal erhältlichen günstigen Stühlen aus Plastik oder selbst gebauten aus Holz. In Zusammenarbeit mit dem Gatagara-Krankenhaus stellten die Anwender in Workshops ihre Rollstühle selbst her. Damit wurde gleichzeitig dafür gesorgt, dass sie diese bei Bedarf auch selbst reparieren können. Auch das Krankenhauspersonal wurde in der Fertigung geschult, um die Workshops später selbstständig weiter anbieten zu können.

Genaue Zahlen, wie viele Menschen in Nigeria, Ruanda und im Kongo mit Behinderungen leben, gibt es nicht. Schätzungen von Nichtregierungsorganisationen wie Handicap International zufolge sind es im Kongo mindestens 15 Prozent der Bevölkerung. Im Jahr 2015 ratifizierte Kongos Regierung die internationale UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Seit April desselben Jahres werden landesweit alle Neugeborenen gegen Kinderlähmung geimpft. In Nigeria wurden 2016 nur noch drei Fälle von Polio gemeldet. Sofern keine neuen auftreten, ist davon auszugehen, dass im August 2019 das Land von der WHO als poliofrei eingestuft wird.

Mehr Infos über das Projekt finden Sie auf www.wheelchairsfornigeria.org oder bei Facebook: www.facebook.com/wheelchairsfornigeria

 

 

Fotos: Ronald Rice/Wheelchairs for Nigeria, Josep Mora