WAS HEISST EIGENTLICH BARRIEREFREI ? …

Null Barriere – viel Komfort … oder: Heute für morgen Bauen

Ein Beitrag von Uli Müller

Barrierefreies Bauen und Wohnen ist heute in aller Munde. Nicht nur für Senioren und behinderte Menschen bringt es viele Vorteile mit sich. Es ist eine echte Investition in die Zukunft. Warum aber lohnt sich barrierefreies Bauen und Wohnen konkret und für wen?

Der Kreis der Interessenten für barrierefreies Bauen und Wohnen ist in den letzten Jahren stark gewachsen. Einen großen Anteil daran hat die demografische Entwicklung. Schon heute ist die Bevölkerungsgruppe 50+ mit rund 30 Millionen Menschen die größte. Medizinische Fortschritte und allgemein bessere Lebensbedingungen führen zu einer stetig steigenden Lebenserwartung der Menschen.

In Deutschland wächst der Anteil der über 60-Jährigen von derzeit rund 22 Prozent auf ca. 37 Prozent in Jahr 2050. Nur ein kleiner Bruchteil davon, nämlich rund 5%, leben in Senioren- und Pflegeheimen. Für alle anderen bleibt die eigene Wohnung der Mittelpunkt und muss sich den sich verändernden Lebensbedingungen und gesundheitlichen Einschränkungen anpassen. Darüber hinaus gibt es aber auch immer mehr Bauherrn und Investoren, die vorausschauend planen. Denn der Wiederverkaufswert der Immobilie steigt erheblich, wenn sie barrierefrei und damit generationenübergreifend nutzbar ist. Grundsätzlich lassen sich fast alle Räumlichkeiten, egal ob Alt- oder Neubau, zu barrierefreien Wohnungen oder Häusern umbauen.

Wenn man mal zum Begriff „Barriere“ intensiver recherchiert, dann findet man Synonyme wie z.B. Abriegelung, Abschrankung, Absperrung, Barrikade, Blockierung, Hindernis, Hürde, Sperre oder Sperrgürtel. Barriere bedeutet: Absperrung, die jemanden von etwas fernhält.

Was heißt das nun in der baulichen Umsetzung: barrierefrei?

Wie eine vorbildlich gestaltete barrierefreie Wohnung aussieht, ist laut Stiftung Warentest klar:
Die Wohnung ist ebenerdig, verfügt über eine geräumige Küche und ein großzügiges Badezimmer mit den für die jeweilige Lebensphase bzw. Einschränkung passenden Sanitärgegenständen. Sie ist hell und luftig.
Die Fenster sind so konzipiert, dass sie gut und leicht erreichbar sind. Der Nutzer kann auch im Sitzen ins Freie blicken.
Die Türen haben im Idealfall mindestens eine lichte Durchgangsbreite von 90 cm, damit sie auch ein Rollstuhlfahrer gut passieren kann. Der Einsatz einer WC-Garnitur an der Badtür erleichtert im Ernstfall Hilfestellung von außerhalb.
Stolperkanten wie Schwellen und Übergänge zwischen den Räumen, auch zwischen innen und außen, sollten grundsätzlich vermieden werden. Die Behauptung, baurechtlich sei eine Schwellenhöhe von zwei Zentimeter noch erlaubt, ist falsch.
In der DIN 18040 steht eindeutig, dass untere Türanschläge und -schwellen nicht zulässig sind. Nur wenn eine Schwelle „technisch unabdingbar“ ist, kann im begründeten Einzelfall eine Schwelle bis zu 2 cm Höhe ausgeführt werden.
Laut BGH-Urteil schuldet der Planer und Ausführende eine schwellenlose Ausführung.

Ein einheitlicher Bodenbelag ist hier am besten geeignet. Vor allem Rollstuhlfahrer berichten immer wieder, dass sich Belagsübergänge im Laufe der Jahre zu immer größeren Stolperfallen bzw. Hindernissen entwickeln. Auch Stolperfallen wie z.B. Teppichläufer sollten in einer barrierefreien Wohnung vermieden werden.
In barrierefreien Küchen werden Elektrogeräte, Backofen, Kühlschränke und Geschirrspüler auf Arbeitshöhe eingebaut.
Zusätzlich empfiehlt es sich, Möbel und Einrichtungsgegenstände möglichst beweglich anzuschaffen, um Flexibilität und Mobilität zu gewährleisten, je nach Lebensphase bzw. körperlicher Einschränkung.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die häusliche technische Vernetzung. Hier lassen sich Licht, Fenster, Türen und Rollläden auf Knopfdruck bedienen und auch Hilfe ist mit einem Notschalter sofort alarmiert.

Barrierefrei ist aber manchmal nicht gleich barrierefrei – warum?
Der allgemeine Begriff „Barrierefrei“ trifft es oft nicht ganz. „Wohnen für alle“ passt besser in das heutige Anspruchsdenken vieler Menschen, wenn sie an barrierefreies Wohnen denken. Nur die DIN 18040 umzusetzen, hieße, nur eine Reihe von Detaillösungen zu verwirklichen.
In einem konkreten Fall beispielsweise gibt es zwei Wohnungen im Altbau, Obergeschoß. In der einen wohnen die bereits hilfsbedürftigen Eltern, in der anderen ihre Tochter, Jahrgang 1991, die an einer Glasknochenkrankheit leidet und viel Unterstützung braucht. Für sie wurde z.B. die schwellenlose, geräumige Dusche gegen eine Badewanne ersetzt. Dadurch war diese Wohnung für seine individuelle Nutzerin wieder barrierefrei.

In letzter Zeit liest man immer häufiger zum Thema Barrierefrei den Begriff „Universal Design“. Hier handelt es sich um eine Strategie bzw. um einen Denkansatz für die Nutzungsqualität in gebauten Umgebungen, Produkten, Systemen und Dienstleistungen.
Es sollen zukunftsfähige Konzepte und innovative Gestaltungen entstehen, die unsere Lebenswelt positiv verändern. Der Planer muss sich zwangsläufig mit den Nutzungsverhalten seiner Kunden auseinandersetzen.

Eine große Anzahl von Sanitärprodukten hilft da, individuelle Wünsche zu erfüllen. Schon in der Planungsphase muss genau überlegt werden, welche Zukunftsszenarien wie z.B. unvorhergesehene Verletzungen und körperliche Einschränkungen oder auch das Altern abgedeckt werden sollen.

Dabei ist es für den Badplaner deutlich schwieriger, ein barrierefreies Bad z.B. in einer Mietwohnung für möglichst viele Zielgruppen zu planen, welche diesen speziellen Raum uneingeschränkt nutzen sollen, als einen bestehenden Sanitärbereich in einem Einfamilienhaus für eine bestimmte Person mit einem bestimmten Handicap umbauen zu müssen.

Zukunftsorientierte Planung

Menschen möchten in ihrem häuslichen Umfeld alt werden bzw. selbstbestimmt leben können. Sie haben sich eingerichtet, kennen sich in der Umgebung aus und pflegen nachbarschaftliche Kontakte. Altersbedingte Erkrankungen und zusätzliche motorische Einschränkungen machen es oft notwendig, die Wohnung, die jahrelang bestens funktioniert hat, nochmals in Teilbereichen neun zu gestalten.
Davon ist im Besonderen auch das Badezimmer betroffen.
Allein die Demontage eines Unterschranks unter dem vorhandenen Waschbecken kann ein Bad schon zu einem barrierefreien Bad machen.

Trotz aller aufgezeigten Vorteile des barrierefreien Bauens oder Umbauens zeigt eine aktuelle Trendstudie, was typische Hemmnisse sind: Angst vor Mehrkosten, komplexe Anforderungen und unklare Standards. Die Praxis zeigt aber, ebenfalls lt. einer Trendstudie aus 2019, dass bei gut einem Viertel der Befragten das barrierefreies Bauen bei vorausschauender Planung nahezu kostenneutral sein kann.
Bei über 55% der Befragten liegen die Mehrkosten erfahrungsgemäß bis max. 5%. Das bedeutet aber auch, dass noch viel Aufklärungsarbeit nötig ist.

Fazit:

Ein oftmals notwendiger Umzug in eine Betreuungseinrichtung entwurzelt die betroffenen Menschen und kostet die Gesellschaft viel Geld. Geld, welches besser in die Nachhaltigkeit von Gebäuden, insbesondere Wohnhäuser, investiert werden sollte.
Daher ist es unabdingbar, Wohnhäuser und Wohnungen so zu entwickeln, dass sie die Möglichkeit bieten, den Menschen durch alle Lebenslagen zu begleiten.

DAS HEISST BARRIEREFREI !


Uli Müller

Der Architekt aus Coburg entwickelt und baut mit seinem Team UMA individuelle, barrierefreie Lebensräume zum Wohnen und Arbeiten. Inzwischen hat er weit über 150 barrierefreie Bauprojekte in unterschiedlichen Bereichen erfolgreich abgeschlossen und ist seit 2006 auch als Gutachter für diesen Bereich tätig. www.umaco.de

 

 

Fotos: UMA, pixabay.com