Führerschein mit Handicap
Das optimale Fahrzeug für die Ausbildung – multifunktional, individuell, anpassbar
Die Fahrschulausbildung im Bereich der Behindertenmobilität birgt viele Herausforderungen. Für die Fahrlehrer, die sich auf diesen Bereich spezialisiert haben, ist es aber vor allem eine sehr bereichernde Tätigkeit. „Es ist wirklich ein ganz besonderes Arbeiten, nicht vergleichbar mit dem normalen Fahrlehreralltag“, sagt Ralf Buhmann, Leiter der PARAVAN-Fahrschule in Pfronstetten Aichelau. „Die Dankbarkeit der Leute ist unvergleichbar zum normalen Fahrlehreralltag“, ergänzt Fahrlehrer Horst Hilsenbeck. Für die Ausbildung benötigt der Ausbilder ein speziell ausgerüstetes Fahrzeug, welches ganz individuell auf die Beschwerdebilder einstellbar sein muss.
Als Erstes muss sich der Inhaber einer Fahrschule, der sich auf Behindertenmobilität spezialisieren möchte, darüber klar werden, bis zu welchem Grad einer Behinderung er ausbilden möchte. Prinzipiell muss man hier zwischen der Schulung mit mechanischen bzw. mechanisch-elektrischen Fahrhilfen (z.B. Handgerät oder Gasring) oder mit digitalen Fahr- und Lenksystemen (z.B. Space Drive) unterscheiden.
Die erste Gruppe umfasst den Personenkreis, der meistens noch selbst in das Fahrzeug steigen kann. Ein Kleintransporter wie VW Caddy oder Peugeot Rifter eignet sich da oder ein Kombi. „SUV ist eher ungeeignet“, erklärt Fahrlehrer Buhmann, wegen des hohen Einstieges. 90 bis 95 Prozent der Fahrschulen in Deutschland, die in diesem Bereich ausbilden, haben ihre Fahrzeuge mit einem Handgerät, Gasring, Linksgas oder Multifunktionsknauf ausgerüstet. Außerdem sollte das Fahrzeug mit einem Rutschbrett ausgestattet sein, optimalerweise fest verbaut und höhenverstellbar. Zudem sollte man bei der Bestellung eines Fahrzeuges – egal wie groß – darauf achten, dass es mit einer leichten Lenkung lieferbar ist. „Eine Pedalabdeckung sowie die obligatorische Doppelbedienung gehört zudem in jedes für die Prüfung zugelassene Fahrzeug“, ergänzt Horst Hilsenbeck.
Möchte man eine Fahrschulausbildung für Menschen mit stärkeren Bewegungseinschränkungen anbieten – beispielsweise für Tetraplegiker oder für Fahrschüler mit neuromuskulären Erkrankungen, Dysmelien oder Kleinwuchs, muss das Fahrzeug mit einem digitalen Fahr- und Lenksystem ausgestattet sein, inklusive Sprachsteuerung und Touch-System für die Bedienung der sekundären Fahrzeugfunktionen wie Scheibenwischer, Blinker etc. „Für diese Art der Ausbildung benötigt man zwingend einen Transporter mit einem rollstuhlgeeigneten Zugang über eine Rampe oder einen Kassettenlift sowie verschiedene anpassbare Eingabegeräte, abstimmbar auf das Krankheitsbild“, weiß Buhmann. Eine flexible Bestuhlung im Fahrzeug ist zwingend notwendig, um stets Zugang zum Fahrzeug, aber auch zum Fahrerplatz zu gewährleisten, beispielsweise beim Umsetzen. „Nicht jeder fährt im eigenen Rollstuhl.“
Grundlage für eine optimale Ausbildung ist die individuelle Anpassung des Systems. Je nach Krankheitsbild werden unterschiedliche Eingabegeräte benötigt. Joysticks, 2- und 4-Wege, sind eher für neuromuskuläre Krankheiten anwendbar, aber auch für Tetraplegiker. Gas-/Bremsschieber werden ebenfalls meistens bei Tetraplegikern eingesetzt, ebenso wie das Minilenkrad. Für spezielle Anwendungsfälle sollte noch eine Rotationslenkung mit an Bord sein. „In diesem Bereich gibt es keine Standardlösung. Alles ist ganz individuell“, sagt Ralf Buhmann. „Kein Krankheitsbild ist wie das andere.“ Von daher sei es wichtig, zu Beginn jeder Fahrschulausbildung die optimale Lösung zu finden. Ebenso wie beim Fahrschulbetrieb hat der Ausbilder auch hier eine elektronische Doppelbedienung, um im Notfall eingreifen zu können.
In Deutschland gibt es vier bis fünf hoch spezialisierte Fahrschulen, die mit elektronischen Fahr- und Lenksystemen ausbilden. Etwa 50 bis 70 Fahrschüler in Deutschland benötigen so eine Ausbildung im Jahr, als Erstausbildung oder als Zusatzausbildung, aufgrund eines fortschreitenden Krankheitsbildes oder eines Unfalls. Eine Fahrausbildung mit Handgerät oder Gasring wird deutlich häufiger nachgefragt.
Fahrlehrer, die in diesem Bereich tätig werden möchten, sollten unbedingt eine Zusatzausbildung absolvieren. Auch die PARAVAN-Fahrschule wird diese Kurse in Zukunft anbieten. „Ein Verständnis für die technischen und medizinischen Zusammenhänge ist unabdingbar“, sagt Fahrlehrer Horst Hilsenbeck. Das betrifft auch den Umgang mit dem Kunden. Die Fahrlehrer sollten keine Berührungsängste haben. „Jeder Fahrschüler ist anders, jedes Fahrzeug ist anders, jeder Umbau ist anders“, sagt Buhmann. „Das ist die besondere Herausforderung. Von daher sollte jeder bedenken, der in diesem Bereich Wissen vermitteln möchte, dass er ein möglichst flexibles Ausbildungsfahrzeug anschafft – egal ob mit elektronischer Lenkung oder mit digital elektrischen Eingabegeräten. Auch eine Kombination ist möglich.
Weiter Infos & Kontakt: www.paravan.de
INFOBOX
Sieben Schritte zur Mobilität
1. Verkehrsmedizinisches Gutachten
2. Kostenlose Fahrprobe, zum Beispiel in der PARAVAN-Fahrschule in Heidelberg oder Aichelau, ggf. eine Fahrschulausbildung, wenn nötig
3. Fahreignungsprüfung mit TÜV-Gutachten
4. Auswahl der richtigen Mobilitätslösung, basierend auf dem technischen Gutachten
5. Antragstellung bei Kostenträgern (DRV, BG, Agentur für Arbeit, Integrationsämter …)
6. Individueller Fahrzeugumbau und Anpassung
7. Letzte Anpassungsfahrten mit Fahrlehrer