Ein Beitrag von Christian Au.

Anfang Oktober 2017 reiste ich mit meiner Frau für vier Tage nach Wien. Wie immer mit im Gepäck: mein Rollstuhl. In den herkömmlichen Reiseführern fanden wir zuvor nur wenige Hinweise über die Barrierefreiheit der Stadt. Also informierten wir uns mit Hilfe der umfangreichen und übersichtlich gestalteten Homepage des Tourismusverbandes unter www.wien.info/de/reiseinfos/wien-barrierefrei.

Die Flüge zwischen Hamburg und Wien verliefen problemlos. In Hamburg sind eine Parkplatzreservierung sowie die Anmeldung beim Mobilitätsservice vorab auch online möglich (http://www.hamburg-airport.de/de/reisende_mit_eingeschraenkter_mobilitaet.php). Das sorgt an den Reisetagen selbst für Entspannung. Auch in Wien bekamen wir alle benötigten Hilfestellungen, da die notwendigen Informationen zwischen den Flughäfen ausgetauscht werden.

In Wien angekommen, nahmen wir den Pendelzug in die Innenstadt (CAT). Auf dem Weg zum Bahnsteig fiel uns zum ersten Mal auf, dass es im Wiener Nahverkehr ein sehr gutes Bodenleitsystem für Sehgeschädigte gibt. Ergänzt wird es von den üblichen taktilen und auditiven Orientierungshilfen in Aufzügen und im Straßenverkehr. Selbst über die Lage und Anzahl der zu überquerenden Straßenbahnschienen und Fahrbahnen finden Blinde Informationen an den Ampelkästen.

Unser Hotel, das Grand Ferdinand, erreichten wir nach einem kurzen Spaziergang durch den Stadtpark. Das Hotel selbst ist ein denkmalgeschütztes, traditionelles Haus aus den 1950er-Jahren (https://grandferdinand.com). Unser geräumiges Zimmer lag im ersten Stock; der Flur war ausgestattet mit elektrischen Türöffnern; das Badezimmer war ausreichend groß und mit ebenerdig befahrbarer Dusche, Haltegriffen sowie Notfallklingeln ausgestattet – alles prima! Morgens fuhren wir mit dem Lift in die Dachetage, um den Tag mit einem reichhaltigen Frühstück zu beginnen. Bis auf das Teeangebot war alles stufenfrei zu erreichen und das freundliche Personal ermöglichte nahezu jeden Wunsch. Dennoch mussten wir uns erst mit der Wiener Kaffeehaus-Mentalität anfreunden, denn wer beim Frühstück eine Kanne Kaffee erwartet, ist in Wien verkehrt! Jede einzelne Tasse Kaffee wird frisch gebrüht an den Tisch gebracht – nachdem man sich zuvor für eine von diversen Kaffeespezialitäten entschieden hat, die es jeweils „doppelt“ (doppelte Menge) oder „verlängert“ (doppelte Menge Wasser) gibt. So blieben wir morgens deutlich unter unserem üblichen Kaffeekonsum, denn ab der dritten Tasse fühlte es sich irgendwie seltsam an, den Service erneut loszuschicken. Das kulturelle Programm unserer Reise führte uns gleich zu Anfang in das Ronacher Theater (https://www.musicalvienna.at/de/die-theater/ronacher), in dem wir uns den „Tanz der Vampire“ ansahen. Das Haus ist gemütlich und charmant in alte, funktionssanierte Bausubstanz eingebettet. Für Gäste mit Handicap gibt es einen kleinen Nebeneingang, der stufenfrei und großzügig zum Zuschauersaal führt. Hier war es diskussionslos möglich, statt eines Rollstuhlplatzes einen regulären Sitzplatz im Parkett zu nutzen (Voraussetzung: der Rollstuhl wurde während der Vorstellung in der Garderobe geparkt). Das Personal des Theaters war sehr hilfsbereit und freundlich und brachte uns sowohl in der Pause als auch nach der Vorstellung den Rollstuhl zum Platz.

Ein weiterer Programmpunkt für uns war das Erkunden der Donaumetropole. Hierzu verbrachten wir einen Nachmittag mit Frau Buchas, einer erfreulich flexiblen Fremdenführerin. Sie war uns sehr zugewandt und versorgte uns ganz individuell mit spannenden Informationen – auch abseits der typischen Jahreszahlen und Adelstitel. Frau Susanne Pleesz ist eine von zehn Stadtführer/innen, die man speziell für Behindertenführungen in Wien buchen kann (https://www.wien.info/de/reiseinfos/wien-barrierefrei/barrierefrei-guides).

Wettertechnisch hatten wir die meiste Zeit großes Glück und konnten Wien überwiegend zu Fuß und per Rollstuhl erkunden (Achtung: großformatiges Kopfsteinpflaster in einzelnen Bereichen der Hofburg und des Museumsviertels!). Ein Langzeitticket (Vienna City Card) der Wiener Linien ermöglichte uns zudem jederzeit die kostengünstige Nutzung des Personennahverkehrs. Sollte man also einmal bei Dauerregen in Wien landen, hier ein kleiner „Tipp“: entlang der Ringstraße fahren die Linien S2 und S71. Mit ihnen gelangt man zur Oper, zum Goethe- und zum Mozartdenkmal, zum Museumsquartier und zur Hofburg, zum Rathaus und zum Parlament – eine Fahrt mit diesen Linien ist schon fast ein kleines Sightseeing!

Ein weitaus traditionelleres Fahrzeug für eine Besichtigung Wiens sind die Pferde-Fiaker. Nicht einmal die Ur-Wiener sind sich einig darüber, inwiefern man diese Tradition beibehalten oder aber aus Gründen des Tierschutzes verbieten sollte. Nachdem wir uns über die Arbeitsbedingungen der Pferde informiert hatten, entschieden wir uns letztendlich doch für eine Fahrt – mit dem einzigen rollstuhlgerechten Fiaker Wiens (http://www.fiakerzentrale.at)! Bei diesem Fiaker ließ sich mein Rollstuhl über eine ausziehbare Rampe hinweg in die Droschke stellen. Und auch wenn meine Frau und ich innerstädtischen Kutschfahrten gegenüber kritisch eingestellt bleiben, war die Fahrt mit dem Fiaker durch die ruhige Fortbewegungsart etwas ganz Besonderes.

Neben den vielen baulichen Sehenswürdigkeiten sind vor allem auch die zahlreichen Museen Wiens eine Reise wert. Wir haben uns die Albertina (http://www.albertina.at) angesehen, in der unter anderem gerade Werke von Bruegel und Raffael ausgestellt wurden. Eine tolle Führung konnte uns zudem einen Überblick über verschiedenste Kunstrichtungen verschaffen und wir wären bei ausreichender Zeit gerne länger geblieben.

Gleichzeitig bekamen wir auch einen Einblick darüber, dass es selbst in öffentlichen Einrichtungen wie der Albertina nicht einfach ist, die Vorgaben des österreichischen Bundes-Behindertengleichstellungsgesetzes (www.ris.bka.gv.at) umzusetzen: barrierefreie Lösungen müssen immer mit dem Denkmalschutz vereinbar sein. So kommt es mit-unter zu Zwischenlösungen wie Hubliften (abseits von der historischen Ansicht der Burgmauern), die nur vom Museumspersonal betätigt werden dürfen. Alles ist zugänglich – bisweilen ist man jedoch auf Hilfe angewiesen.

Auch das kunsthistorische Museum kennt die Problematik mit dem Denkmalschutz. Der Eingang für Rollstuhlfahrer liegt seitlich des Gebäudes. Am Pförtnerhaus wurden wir von der Kunsthistorikerin Frau Krall abgeholt und über einen recht unebenen Innenhof ins Museum geführt. Mit Frau Krall unterhält das Haus eine Mitarbeiterin, die sich auf den Bereich der Barrierefreiheit spezialisiert hat. Die Umsetzung dieser Aufgabe fiel uns gleich ins Auge: neben zahlreichen Induktionsschleifen für hörgeschädigte Besucher, ergänzende Erläuterungen in Brailleschrift, einem Rollstuhl-WC auf jeder Etage und ausreichend breiten Lauf- und Fahrtwegen in den Ausstellungsräumen gibt es hier sogar Kunst zum Anfassen! Die Kunstvermittlerin hat es geschafft, einzelne Werke des Museums computergestützt in Kunststein fräsen zu lassen und so in Tastreliefs umzuwandeln. Diese stehen in direkter Nähe des Bildoriginals – auch für Sehende eine interessante Ergänzung zum eigentlichen Kunstwerk. Darüber hinaus bietet das Museum für Menschen mit Hilfebedarf verschiedenste Führungen an (http://www.khm.at/erfahren/kunstvermittlung/barrierefreie-angebote).

Auch in diesem Museum wären wir gerne länger geblieben – hätten wir ein größeres Zeitpolster gehabt! Aber neben den bisher geschilderten Erlebnissen sammelten wir in vier Tagen auch noch zahlreiche Informationen über den Wiener Prater inklusive des großen Riesenrades (rollstuhlzugänglich), über das Museum der Illusionen, das allererste Hundertwasserhaus überhaupt, das Haus Sacher, die Wiener Oper usw. Auf den Rückweg machten wir uns in dem Wissen, dass wir uns mit vielen anderen Stationen (z. B. der Hofreitschule, dem Naschmarkt, dem Schloss Schönbrunn, …) noch einmal zu anderer Zeit beschäftigen müssen.

FAZIT

Wien ist eine interessante Stadt und die Bemühungen der Metropole um Barrierefreiheit sind in vielen verschiedenen Lebensbereichen deutlich zu erkennen. Dafür könnte ich noch viele weitere Erlebnisse anführen, die den Umfang dieses Reiseberichtes jedoch sprengen würden. Besonders betonen möchte ich abschließend, dass die Wiener uns gegenüber stets freundlich geblieben sind. Der unterschwellig sonst so oft mitschwingende Missmut bei Anfragen bzgl. eines Duschstuhls, einer Rollstuhlrampe oder einer helfenden Hand blieb in Wien gänzlich aus – wir haben ihn nicht vermisst und kommen gerne wieder!