Fünfmal die Woche trainiert Sigrun Passelat in einem Fitnessstudio und testet dabei seit zwei Wochen das Rheo Knee XC von Össur. Vor einem Jahr wäre ihr dieses Szenario noch wie eine Utopie erschienen.

Der Weg auf den Crosstrainer war für Sigrun Passelat sehr lang und steinig. Dass sie jetzt nach nur sechs Monaten mit Prothese wieder voll im Training steht, laufen, Rad fahren und Kniebeugen machen kann, ist bemerkenswert. Genauso wie die Tatsache, dass sie während der unzähligen Strapazen und Enttäuschungen nie ganz der Mut verlassen hat. Bei einem Treppensturz im Jahr 2005 zog sie sich eine schlimme Knieverletzung zu, die einige Jahre später die Entscheidung für ein künstliches Kniegelenk nahelegte. Unglücklicherweise geriet bei der Operation im Jahr 2013 ein multiresistenter Keim in die Wunde. Es wurden insgesamt vier Kniegelenke und vier Spacer ein- und wieder ausgebaut, ohne dass der Keim dabei entfernt werden konnte. Nachdem klar war, dass eine Amputation unumgänglich war, entschied sie sich für das Verfahren der Borggreve-Umkehrplastik, bei der das fehlende Knie- durch das Fußgelenk ersetzt wird. Die Operation missglückte, die Knochen wuchsen nicht zusammen. Im März 2017 wird ihr der Oberschenkel abgenommen, ein halbes Jahr später ist noch eine Nachamputation nötig, da das wuchernde Gewebe nicht ausreichend entfernt wurde. Aufgrund der missglückten Borggreve-Umkehrplastik bleiben nur noch 20 cm des Oberschenkels übrig. Am 16. September 2017 – viereinhalb zermürbende Jahre nach der ersten Kniegelenksoperation – beginnt die Interimsversorgung und damit endlich Sigruns neues Leben jenseits des Krankenhauses.

Der Sport war für sie nach den langen Krankenhausaufenthalten wie eine Befreiung, ihre Trainingsbilanz ist beeindruckend. Als ambitionierte Hobbysportlerin hatte sie schon vorher eine gute Kondition, die Anpassung an das Leben mit Prothese gelang daher schnell. Wenige Tage nach dem ersten Gang mit Prothese trainiert sie schon im Studio auf dem Laufband, es folgt ein umfangreiches Fitnessprogramm mit reichlich Gleichgewichts- und Krafttraining. Anfang September bekommt sie ihr Rheo Knee und macht ihre ersten Schritte ohne Gehhilfe.

Fünfmal die Woche trainiert Sigrun seitdem in ihrem Lieblingsstudio Flexx-Fitness.Mit dabei ist immer ihre Trainerin Viviane, die sie dort kennenlernte und welche sie von Anfang an beim Training begleitet hat. Zusammen erstellen sie das Trainingsprogramm, probieren gemeinsam aus, was gut geht und passen es immer wieder an. Wer sie als Ahnungsloser jetzt, ein halbes Jahr später, in einer beinahe flüssigen Bewegung auf dem Crosstrainer laufen sieht, ahnt nicht, wie viel Arbeit dahintersteckt. Wer selbst ähnliche Erlebnisse hinter sich hat, kann kaum glauben, was sie in der kurzen Zeit erreicht hat.

Nach noch ein paar Runden Bankdrücken und Übungen auf der Yogamatte ist das Training geschafft. Zeit für ein paar Fragen.

Wenn man auf deine überraschend schnellen Trainingserfolge blickt, fragt man sich unwillkürlich, woher du nur die Energie dafür nimmst, vor allem nach den Erfahrungen der Jahre zuvor. Was gibt dir diesen Antrieb? 

Ich war schon als Kind ein ehrgeiziger Typ und habe auch vorher viel Sport getrieben. Das brauche ich einfach für meinen Ausgleich. Und dann war ich immer schon eine, die angepackt hat. Die auch gesagt hat, nur weil ich eine Frau bin, heißt das ja nicht, dass ich mich jetzt da hinsetze und meinen Partner das machen lasse.Viele, auch Leute, die mich nicht gut kennen, sagen, dass wohl viele daran zerbrochen wären. Auch meine beste Freundin wundert sich, dass ich noch nicht in dieses tiefe Loch gefallen bin. Aber es kostete mich ehrlich gesagt auch sehr viel Kraft.

Und wie kommst du jetzt in deinem neuen Alltag außerhalb des Krankenhauses mit der Prothese und der Amputation zurecht?

Dabei hat mir Herr Klüsener, der Techniker vom Sanitätshaus Beuthel, sehr geholfen. Er hat sich direkt sehr viel Zeit für mich genommen, auch nach der missglückten Borggreve-OP. Mein Techniker ist ein richtiger Schatz. Dass das Zwischenmenschliche stimmt, das ist hier enorm wichtig, sonst sitzt die Prothese nie. Wenn man einen Techniker hat, mit dem man nicht klarkommt, funktioniert auch keine Prothese, denn das Anpassen des Schaftes kann bei meiner Amputationshöhe schon ins Intime gehen. Aber was das Leben mit Amputation an sich angeht: man muss komplett umdenken und das tut man dann einfach. Und hätte ich mich nicht zu der Amputation entschlossen, würde ich hier nicht mehr sitzen. Die Zeit war so gut wie ablaufen, es war kurz vor zwölf. Nachdem die missglückte Borggreve abgenommen war, habe ich nur gedacht, jetzt geht’s aufwärts. Wenn die Narben verheilt und die Fäden gezogen sind, dann kannst du endlich mit der Prothesenversorgung anfangen. Ich bin heilfroh, am Leben zu sein. Nun sitze ich hier, ich mache Sport, es ist alles gut.

Seit zwei Wochen testest du das Rheo Knee XC mit dem Pro-Flex XC-Fuß von Össur, nachdem du zunächst mit dem Rheo Knee gestartet bist. Wie laufen sich denn beide Modelle? Merkst du Unterschiede, z. B. bei der Reaktionsschnelligkeit oder beim Treppensteigen?

Beide sind gut, aber das Rheo Knee ist vor allem für den Alltagsgebrauch gedacht. Treppensteigen oder Einkaufen ist damit kein Problem. Aber es hat keine Radfahrerkennung und läuft hierbei nicht ganz so flüssig. Das XC erkennt nach wenigen Pedaltritten, dass ich auf dem Fahrrad sitze. Das läuft viel leichter und runder. Und ein Riesenvorteil ist natürlich, dass der Stumpf nicht ermüdet. Gerade jemand wie ich, mit sehr kurzem Stumpf, hat natürlich das Problem, dass keine Muskeln da sind. Die sind alle eingekürzt und kommen auch mit viel Training nicht wieder. Sie werden sich nie wieder so regenerieren. Und das ist eben der riesige Vorteil beim XC. Wenn man Fahrradfahren möchte, ist es richtig gut und auch beim Bergabgehen reagiert es deutlich besser.

Fürs Joggen braucht man natürlich Carbonfedern. Aber für das normale Training im Fitnessstudio ist es super. Nordic Walking kann man damit auch sehr gut machen. Denn im Unterschied zum Rheo Knee kann ich beim XC einen schnelleren Tempowechsel vornehmen, ohne dass ich ins Straucheln komme. Das läuft ruhiger. Auch Hindernisse übersteigen geht mit dem XC schneller. Und der Pro-Flex XC hat eher eine Funktion wie ein normaler Fuß. Er gibt in der Standphase ein bisschen nach und tut gar nicht weh beim Laufen, was natürlich von Vorteil ist.

Du nutzt ja einige Internet-Plattformen und zeigst in deinen Beiträgen, wie du trainierst. Was ist der Grund dafür, dass du dich jetzt in den sozialen Medien mit deiner Prothese zeigst?

Zum einen war ich damals nicht auf das Leben danach vorbereitet und habe zu Amputierten vorher so gut wie keinen Kontakt gehabt. Und dann sage ich mir, je offensiver oder gestärkter ich an das Thema rangehe, umso weniger wird geguckt. Früher war ich nie der Typ fürs Internet. Ich war doch nicht jemand, der sich auf Plattformen darstellt. Das hat sich erst, komischerweise, durch die Prothesenversorgung oder durch die Amputation schlussendlich total verändert. Meine Kinder haben auch gesagt, was ist denn jetzt mit dir los, du hast doch nie ein Selfie gemacht oder dich beim Training vor den Spiegel gestellt. Das war nie meins. Nie. Aber wenn wir Amputierte, egal ob Oberschenkel, Unterschenkel, Arm oder Hand der Welt nicht zeigen, dass man damit genauso ein Leben führen kann, stoßen wir auf Ablehnung. Und deshalb habe ich mir damals gesagt, so, du stehst dazu. Viele kriegen das nicht hin. Denn es gibt ganz viele, die da eine Abneigung haben. Man erlebt einiges. Da muss man ganz hart im Nehmen sein. Deshalb muss es öffentlich gemacht werden, die Gesellschaft muss dafür sensibilisiert werden. Wirklich.

Und wenn jetzt eine frisch amputiert ist, weiß die doch gar nicht, wie das ist. Das, was ich jetzt erlebe im Alltag, die Erfahrungen, kann ich ja weitergeben. Die helfen anderen, zu sagen: „warum sollte ich aufgeben?“

Ich erlebe das auch über Facebook. Ich habe gestern von einer Frau gehört, die sich das Video angesehen hat, in dem ich auf dem Crosser stehe. Sie schrieb unter den Post „sag bloß, das ist möglich.“
„Ja“, schrieb ich, „einfach immer probieren. Wenn ich es nicht probiere, dann weiß ich nicht, ob es funktioniert.“
Gestern schrieb sie mir dann aus der Reha: „du glaubst gar nicht, wo ich draufgestanden habe.“

Was würdest du anderen in einer ähnlichen Situation raten? Hast du ein Motto?

Raten ist schwer, denn die Entscheidung für oder gegen eine Amputation ist immer eine, die derjenige selber treffen muss. Für mich war die Amputation die richtige Entscheidung. Sonst säße ich jetzt nicht hier. Aber wichtig ist, einfach nie aufzugeben. Nie. Aufgeben ist für mich keine Option. Und wenn ich ein Motto mitgeben darf, wäre es dieses:

Schatten, die auf unser Leben fallen, sind nichts anderes als ein sicheres Zeichen dafür, dass es irgendwo ein Licht geben muss, für das es sich lohnt zu leben.

Rheo Knee  und Rheo XC im Vergleich
Funktionsübersicht RHEO KNEE RHEO KNEE XC
Autoadaptive Stand- und Schwungphasensteuerung in Echtzeit
Zuverlässige und mühelose Schwungphaseneinleitung auf allen Untergründen
Stolperschutz
Rutschfestes Kniepad: sicheres Hinknien
Manuelle Verriegelung
Wetterfestes IP34
Einfacheres Aufstehen dank geringerem Widerstand
Erleichtert das Überwinden von Hindernissen und Rückwärtsgehen
Bike Move Funktion: Radfahrerkennung
Stair Move Funktion: alternierendes Treppensteigen
Reaction Move Funktion: Reaktionsschnelligkeit
Autoadaptive Anpassung
Bewegungssensortechnologie, integrierter kinematischer Sensor, Winkel- und Kraftsensoren
Extension Hold: zum Überwinden von Hindernissen
Kleine Schritte und Rückwärtsgehen
 Technische Daten     
Amputationsgrad Oberschenkel
Knieexartikulation
Oberschenkel
Knieexartikulation
Mobilitätsgrad 2-4 2-4
Einbauhöhe 236mm (9 1/4″) 236mm (9 1/4″)
Knieflexionswinkel 120º 120º
Aluminiumrahmen
Gewicht 1.61kg 1.61kg
Max. Körpergewicht 136kg 136 kg 

Inklusive Össur Logic App

Die Össur Logic App für iOS Geräte ist bei beiden Modellen enthalten und bietet diese Funktionen:

• Einfaches Setup des Benutzerprofils mit individuellen Einstellungen und druckbarem PDF-Aktivitätsbericht
• Funktionelle Übungen mit direktem Feedback, die das Vertrauen des Anwenders stärken und die wichtigsten Eigenschaften des Kniegelenks trainieren
• Überwachung des Schrittzählers und Akkustatus

Fotos: Össur Deutschland GmbH, Redaktion Barrierefrei, Privat, Screenshot Instagram-Profil Sigrun Passelat